Dieses Projekt wird durch die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa aus Mitteln des Landes
und des Europäischen Sozialfonds Plus gefördert.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt Menschen, die wegen ihrer (familiären) Herkunft oder ihres damit verknüpften Aussehens, ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihrer Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Identität diskriminiert oder belästigt werden. Konkret geht das AGG von fünf verschiedenen Formen von Benachteiligung oder Belästigung aus. Zu berücksichtigen ist, dass das AGG von
"Benachteiligung" spricht, während in der Öffentlichkeit meist von "Diskriminierung" die Rede ist:
Kommt es in der Arbeitswelt zu Diskriminierungen oder Belästigungen, schreibt § 13 des AGG vor, dass Betroffene die Möglichkeit zur Beschwerde haben müssen (was natürlich eine direkte Konfrontation der diskriminierenden Person nicht ausschließt). Hierbei spielt der Ort der Benachteiligung oder Belästigung keine Rolle. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass auch gegen diskriminierendes oder belästigendes Verhalten vorgegangen werden kann, das sich bei einer Fortbildungsveranstaltung, bei einer Betriebsfeier oder beim gemeinsamen Gang zum Bäcker ereignet hat. Wichtig ist zudem, dass sich Beschwerden nicht nur gegen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kolleg*innen richten können, sondern auch gegen Dritte, beispielsweise Kund*innen oder Geschäftspartner*innen.
Sämtliche Beschäftigte eines Betriebs können sich beschweren – hierzu gehören gemäß § 6 AGG erstens Arbeitnehmer*innen, Auszubildende und in Heimarbeit beschäftigte Personen, zweitens Leiharbeitnehmer*innen und freie Mitarbeiter*innen und drittens Bewerber*innen sowie Personen, deren Beschäftigungsverhältnis bereits beendet ist. Als Grundlage reicht aus, dass sich die betroffene Person subjektiv diskriminiert oder belästigt fühlt. Ob der Vorfall auch im rechtlichen Sinne eine Diskriminierung oder Belästigung darstellt, muss hingegen im Rahmen des Beschwerdeverfahrens geprüft werden.
Das Beschwerdeverfahren besteht aus fünf aufeinander aufbauenden Schritten, die im Folgenden in ihren Grundzügen vorgestellt werden sollen:
Bevor eine Beschwerde mündlich oder schriftlich aufgegeben wird, sollte die beschwerdewillige Person einerseits über den genauen Verlauf des Beschwerdeverfahrens informiert werden, andererseits über die Möglichkeit, zunächst eine von der Beschwerdestelle unabhängige und vertrauliche Beratung in Anspruch zu nehmen (um die Vor- und Nachteile einer Beschwerde besser abwägen zu können).
Nach Aufgabe der Beschwerde hat innerhalb von ein bis zwei Wochen eine umfassende Ermittlung des Sachverhalts stattzufinden. Neben der beschwerdeführenden Person und dem oder der Beschuldigten sollten insbesondere Zeug*innen und Vorgesetzte befragt werden. Zudem können – je nach Beschwerdegegenstand – unterschiedliche Expert*innen um Stellungnahmen gebeten werden, beispielsweise die Gleichstellungsbeauftragte oder Mitglieder des
Betriebs- bzw. Personalrats. Darüber hinaus kann es erforderlich sein, weitere Beweise zu sichten, beispielsweise empfangene E-Mails, Dienstanweisungen oder Lohnlisten (im Falle einer Beschwerde wegen Lohndiskriminierung). Grundsätzlich scheint es in dieser Phase für beide Parteien ratsam, externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen – sei es durch Anwält*innen, Kolleg*innen, Angehörige der betrieblichen Interessenvertretungen oder Mitarbeiter*innen von Beratungseinrichtungen.
Ist der Sachverhalt ermittelt, folgt die Prüfung, inwieweit dieser tatsächlich eine Benachteiligung oder Belästigung im Sinne des AGG darstellt. Über das Ergebnis muss die beschwerdeführende Person informiert werden. Zudem wird aus Transparenzgründen empfohlen, auch den oder die Beschwerdegegner*in zu unterrichten (unabhängig davon, dass dies keine gesetzliche Vorschrift darstellt).
Sollte ein Verstoß durch den Arbeitgeber festgestellt werden, muss dieser Maßnahmen zur Beendigung der Diskriminierung ergreifen. Geht die Benachteiligung oder Belästigung von anderen Beschäftigten oder Dritten aus, hat der Arbeitgeber
entsprechende Maßnahmen zum Schutz der beschwerdeführenden Person zu ergreifen. Dies kann auch arbeitsrechtliche Maßnahmen wie Abmahnung, Versetzung oder Kündigung umfassen – sollte ein persönliches Gespräch nicht reichen. Hierbei muss die gewählte Maßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen.
Darüber hinaus ist auch eine Kombination unterschiedlicher Maßnahmen denkbar:
Beispielsweise kann der Arbeitgeber im Falle einer festgestellten Benachteiligung oder Belästigung eine Versetzung anordnen, zusätzlich jedoch eine Mediation, eine Schulung oder eine betriebsinterne Sensibilisierungskampagne initiieren.
Im Falle von Maßnahmen zur Abhilfe einer Benachteiligung oder Belästigung sind diese regelmäßig zu überprüfen. Denn der Arbeitgeber ist unter anderem nach § 12 AGG verpflichtet, die Beschäftigten dauerhaft zu schützen.
Klage auf Schadensersatz: Unabhängig vom innerbetrieblichen Beschwerdeverfahren kann die betroffene Person auch vor einem ordentlichen Gericht eine Klage auf Schadensersatz für die erlittene Diskriminierung oder
Belästigung verlangen – zumindest in jenen Fällen, in denen der Arbeitgeber selbst beschuldigt wird. Zu beachten ist allerdings, dass die Klage innerhalb von zwei Monaten eingereicht werden muss.
Zum Schutz all jener, die sich zu einer Beschwerde entschieden haben, wurde in § 16 AGG das Maßregelungsverbot erlassen: Danach dürfen weder der beschwerdeführenden Person noch den sie unterstützenden Personen Nachteile durch die Ausübung des Beschwerderechts erwachsen. So elementar diese Schutzklausel ist, es sollte dennoch kein Zweifel daran bestehen, dass es möglich ist, Beschwerdewillige oder -führende durch subtile Schikanen massiv unter Druck zu setzen.
Umso wichtiger ist daher, dass die Einrichtung einer Beschwerdestelle eine von der Mehrheit der Betriebsangehörigen gemeinsam getragene Initiative ist – im Sinne der Schaffung einer betriebsinternen Antidiskriminierungs- und Beschwerdekultur. Nur so ist wirklich gewährleistet, dass die Abgabe einer Beschwerde nicht als Nestbeschmutzung oder unkollegiales Verhalten gebrandmarkt wird, sondern als ganz normaler Akt der Konfliktregulierung, ja der Inanspruchnahme grundlegender Menschenrechte.
Eine Beschwerdestelle muss bekannt und zugänglich sein, damit sie ihre Aufgaben tatsächlich erfüllen kann – eine Forderung, die im Übrigen auch durch § 12 AGG vorgeschrieben ist. Entsprechend sollten die Informationen zur Beschwerdestelle in Gestalt eines Plakats, eines Infoflyers und ähnlicher Informationsmaterialien immer wieder neu im Betrieb bekannt gemacht werden – auch über das Intranet, Mailverschickung etc. Zudem ist bei sämtlichen Informationen zu gewährleisten, dass sie barrierefrei zur Verfügung stehen, unter anderem in mehreren Sprachen (je nach betrieblicher Realität). Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die problemlose und barrierefreie, aber auch diskrete Zugänglichkeit der Beschwerdestelle. Neben baulichen Aspekten ist daher sicherzustellen, dass auch Halbtagskräfte, Nacht- und Schichtarbeiter*innen die Beschwerdestelle problemlos aufsuchen können.
Bevor eine Beschwerde aufgegeben wird, sollte nach Möglichkeit eine unabhängige und vertrauliche Beratung in Anspruch genommen werden. Vor allem sollte sich die beschwerdewillige Person ausdrücklich mit der Frage beschäftigen, ob sie sich für ein solches Verfahren hinreichend gewappnet fühlt. Oder ob es nicht zielführender wäre, im geschützten Rahmen einer Beratung, schmerzhafte Diskriminierungs- oder Belästigungserfahrungen aufzuarbeiten und auf dieser Basis neue Handlungsstrategien zu erproben.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass Arbeitgeber laut § 12 AGG verpflichtet sind, Hinweisen nach Benachteiligung oder Belästigung nachzugehen, sobald sie davon Kenntnis erlangt haben – und zwar selbst dann, wenn die Beschwerde zurückgezogen wird.
Diese Frage wird in unseren Handreichungen zu Innerbetrieblichen Beschwerdestellen ausführlich thematisiert (vgl. S. 3), weshalb wir uns hier nur kurzhalten möchten. Rein rechtlich können Beschwerdestellen entweder auf der Arbeitgeberseite angesiedelt sein (meistens bei der Personalabteilung) oder sich aus anderen Betriebsangehörigen zusammensetzen, beispielsweise aus aktuellen oder ehemaligen Mitgliedern betrieblicher Interessenvertretungen (Schwerbehindertenvertretung, Betriebs- bzw. Personalrat etc.). Beide Lösungen – inklusive Mischformen – haben Vor- und Nachteile. Insofern spricht vieles dafür, diese Frage in jedem Betrieb individuell zu beantworten, auch unter Berücksichtigung bereits bestehender Erfahrungen oder Kompetenzen. In jedem Fall ist auf eine ausgewogene personelle Zusammensetzung der Beschwerdestelle zu achten (Geschlecht, Herkunft etc.).
Die gesetzliche Vorgabe zur Einrichtung betrieblichen Beschwerdestellen gilt unterschiedslos für sämtliche Betriebe und Dienststellen – auch für solche mit nur einem oder einer Beschäftigten. Dies ist einerseits positiv, weil es deutlich macht, dass tatsächlich alle Arbeitgeber in die Pflicht genommen sind. Andererseits kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass derartige Beschwerdeverfahren die Möglichkeiten von vielen Klein- und Kleinstbetrieben überfordern dürfte – ganz gleich, ob es um Einzelhandelsgeschäfte, um Handwerksbetriebe, um Betriebe aus der sozialen Arbeit oder Arztpraxen geht (auch dieses Problem ist in den Handreichungen
näher ausgeführt).
Vor diesem Hintergrund stellt sich für Klein- und Kleinstbetriebe die Frage besonders drängend, inwieweit das Beschwerdeverfahren auch von externen Stellen gegen eine entsprechende Gebühr durchgeführt werden könnte – beispielsweise von Kammern, von Arbeitgeberverbänden, von bereits bestehenden Beratungseinrichtungen oder von neu ins Leben gerufenen Beschwerdebüros. Bislang gibt es hiermit wenig Erfahrungen, rechtlich dürften dem allerdings keine Hürden im Weg stehen, zumindest wenn die letztinstanzliche Entscheidung durch den Arbeitgeber getroffen wird.
Das im Rahmen des AGG vorgesehene Beschwerdeverfahren stellt lediglich eine Ergänzung und Vertiefung bereits bestehender Beschwerdemöglichkeiten dar, keine Neuerfindung innerbetrieblicher Beschwerden (erwähnt seien unter anderem die §§ 84 und 85 des Betriebsverfassungsgesetzes). Bei der Einrichtung einer Beschwerdestelle sollte also in jedem Betrieb bzw. in jeder Dienststelle zunächst einmal eine sorgfältige Bestandsaufnahme vorgenommen werden, ob bzw. welche Beschwerde- und Konfliktlösungsmechanismen bereits existieren – sei es durch betriebliche Interessenvertretungen, andere Akteure wie Konflikt- und Mobbingbeauftragte oder eine diesbezüglich engagierte und allseits respektierte Geschäftsführung.
Denn natürlich wäre es fatal, wenn ausgerechnet durch eine gesetzliche Vorschrift des AGG gut eingespielte Arbeitsabläufe im Antidiskriminierungsbereich sabotiert, anstatt produktiv ergänzt würden. Gleichzeitig sollte auch die elementare Rolle betrieblicher Interessenvertreter*innen bei der Einrichtung Innerbetrieblicher Beschwerdestellen stets berücksichtigt werden. Zum einen, weil sie es sind, die am ehesten über die Fähigkeit verfügen, die Arbeitgeberseite zur Gründung solcher Stellen aufzufordern. Zum anderen, weil eine Beschwerdestelle nur dann zum selbstverständlichen Bestandteil der Betriebskultur wird, wenn es insbesondere dem Betriebs- bzw. Personalrat gelingt, alle Betriebsangehörigen aktiv in einen entsprechenden Gründungsprozess mit einzubeziehen.