Zeit & Ort: Mittwoch, 21. Juni 2017, 18.00 Uhr, DGB-Haus Bremen
Veranstaltet von: ADA/Antidiskriminierung in der Arbeitswelt: www.ada-bremen.de
Unsere Gäste:
Elvira Noa, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bremen
Christian Weber, Präsident der Bremischen Bürgerschaft
Jochen Grabler, Recherche-Redaktion Radio Bremen
Benjamin Steinitz, Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS), Berlin
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Am Wochenende des 22./23. Aprils 2017 ist es auf dem Jüdischen Friedhof in Bremen Hastedt zu einer Grabschändung gekommen – ein Grabstein wurde mit einem Hakenkreuz beschmiert. Der Friedhofsverwalter hat den Vorfall angezeigt, der Staatsschutz ermittelt wegen Störung der Totenruhe und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Hinzu kommt, dass diese antisemitische Tat am Vorabend von Jom Hashoah geschah, dem israelischen Nationalfeiertag, an dem nicht nur in Israel der Opfer des Holocaust und der Held_innen des jüdischen Widerstands gedacht wird.
Es ist nicht das erste Mal, dass es zu so einem Vorfall kommt – das letzte Mal sind vor acht Jahren Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof in Bremen von Jugendlichen umgeworfen worden. Man könnte also annehmen, dass der Antisemitismus in Deutschland sich auf gelegentliches Umschmeißen von Grabsteinen beschränkt. Doch die Realität sieht anders aus: Die Bandbreite antisemitischer Vorfälle reicht von latent antisemitischen Andeutungen und Zwischentönen bis hin zu verbaler und körperlicher Gewalt gegen Jüdinnen und Juden. Hierzu passt, dass laut einer Untersuchung der Uni Bielefeld 15 Prozent der Bevölkerung die Auffassung vertreten, Juden hätten zu viel Einfluss in Deutschland. Der am 24. April 2017 veröffentlichte Bericht des zweiten Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus geht auf diese Tendenzen ausführlich ein. Besonderen Aufschluss geben dabei die Ergebnisse einer in diesem Kontext entstandenen Studie, in der Jüdinnen und Juden zu ihren Erfahrungen mit Antisemitismus befragt werden. Für sie ist das Erleben von Antisemitismus alltagsprägend und belastend. Eine Befragung von Jüdinnen und Juden in Deutschland 2016 zeigt: 76 Prozent halten den Antisemitismus in Deutschland für ein eher großes bzw. sehr großes Problem, 78 Prozent meinen zudem, er habe in den letzten fünf Jahren etwas bzw. stark zugenommen. Ganz anders die nicht-jüdische Bevölkerung: Nur 20 Prozent hält Antisemitismus für ein weit verbreitetes Phänomen. Diese Wahrnehmungsdifferenz ist alarmierend, denn sie kann zu Fehleinschätzungen und ausbleibender Intervention führen.
Der Vorfall auf dem Jüdischen Friedhof in Bremen warf einmal mehr die Frage auf, welche Bedeutung Antisemitismus in unserer Gesellschaft derzeit hat. Zudem hat sich an die öffentliche Berichterstattung auch die Frage angeschlossen, wie mit solchen antisemitischen Angriffen umgegangen werden sollte. Beispielsweise hat Innensenator Mäurer die Position bezogen, dass er die Grabschändung nicht kommentieren wolle, um nicht etwaige Nachahmungstäter_innen zu ermutigen.
Antidiskriminierungsstellen gehen unterdessen davon aus, dass Diskriminierung überall anzutreffen ist – ob in der Straßenbahn, auf der Familienfeier, im Sportverein oder an den unterschiedlichen Orten der Arbeitswelt. Um jedoch auf solche Diskriminierungen angemessen reagieren zu können (beispielsweise als Betriebs- oder Personalrat – oder als Geschäftsführerin), müssen diese überhaupt erst als Diskriminierungen erkannt und benannt werden. Es gilt also, eine Sprachlosigkeit zu überwinden, denn die Opfer von Diskriminierung fühlen sich oft alleine gelassen.
In diesem Sinne möchten wir bei unserer Veranstaltung einerseits über Antisemitismus in Deutschland sprechen, andererseits über die Frage, wie Politik, Medien und Zivilgesellschaft auf (bekannt gewordene) Diskriminierung reagieren sollten.